Robert, dein Bruder Lukas und du pfeift im Bundesliga-Kader und engagiert euch an der Basis in eurem heimischen Handball-Verband Brandenburg. Wenn wir zuerst auf die Schiedsrichter-Tätigkeit an sich blicken: Wie groß sind die Unterschiede zwischen Bundesliga und Basis?
Natürlich gibt es große Differenzen – beispielsweise in Sachen der wirtschaftlichen Bedeutung, der Atmosphäre und der Zuschauerzahlen -, aber ich würde lieber eine große Gemeinsamkeit nennen: Als Schiedsrichter bist du sowohl in der Bundesliga als auch in der Verbandsliga grundsätzlich in einer Drucksituation, weil zwei Mannschaften gegeneinander spielen und beide gewinnen wollen.

Beide Teams haben dasselbe Ziel und die Situation, ihnen als Schiedsrichter ein faires Handballspiel zu ermöglichen und gleiche Bedingungen auf dem Feld zu schaffen, ist identisch. Das Spiel selbst ist durch die individuellen Qualitäten der Bundesligaspielerinnen und -spieler auf einem höheren Niveau. Ich sag mal so: Nationalspieler*innen pfeift man in der Verbandsliga in der Regel eben nicht (lacht).
Die Spieler in der Bundesliga haben sich von der Basis hochgearbeitet, ebenso wie ihr. Alle Schiedsrichter:innen in der Bundesliga haben in der altehrwürdigen Schulturnhalle um die Ecke ihre ersten Erfahrungen an der Pfeife gesammelt
Absolut – und diese Parallelen machen es so schön. Wir sind quasi mit den Mannschaften mitgewachsen. Ich habe Spieler in der C-Jugend gepfiffen, die heute bei den Füchsen oder Potsdam in der Bundesliga auf dem Feld.
Der Begriff der Handball-Familie wird oft sehr strapaziert, aber in diesem Fall …
… es ist wirklich ein bisschen wie Familie. Handball ist unser Hobby. Dieses Hobby praktizieren wir vielleicht auf verschiedenen Ebenen, aber der Ursprung ist derselbe. Ob Spieler, Trainer oder Schiedsrichter: Wir fangen alle unten an und entwickeln uns weiter – und egal, ob wir den Schritt nach ganz oben machen oder nicht, kennt man sich. Wenn wir in Brandenburg in der Oberliga, Verbandsliga oder Kreisliga in die Hallen kommen, kennt man immer jemanden und man begrüßt sich – egal, ob man sich vor zwei Monaten, zwei Jahren oder zwei Jahrzehnten zuletzt gesehen hat. Diese „Handball-Familie“ geht nicht verloren – egal, auf welcher Ebene man unterwegs ist.
Inwiefern hat sich für euch mit der Liga, in der ihr unterwegs seid, der Antrieb für das Pfeifen geändert?
Das ist unverändert: Lukas und ich haben damals angefangen, weil wir das Spiel, was wir lieben und selbst 13 Jahren an einer Sportschule in Cottbus betrieben haben, als Schiedsrichter gerechter gestalten wollten. Wir wollten es besser machen als viele Schiedsrichter, die wir damals als Spieler erlebt haben. Außerdem haben wir erlebt, welche Persönlichkeitsentwicklung man mit der Entwicklung als Schiedsrichter erlebt. Das ist enorm und bis heute ein Antrieb für uns, uns persönlich und menschlich weiterzuentwickeln.
Und bei den Jung-Schiedsrichtern, die ihr heute betreut und begleitet: Was sind ihre Gründe?
Ein Antrieb ist sicherlich derselbe, der auch Lukas und mich bewegt: Man will es besser machen als die Generationen davor. Das ist übrigens nicht nur mit der Schiedsrichterperspektive der Fall, sondern auch mit der Sicht auf den Verein. Ich habe so viele junge Menschen in Brandenburg über Jugend-Workshops und Fördermaßnahmen für Jung-Schiedsrichter kennengelernt, die mit 15, 16 Jahren in ihren Verein anpacken und Verantwortung übernehmen. Sie sagen: Wir brauchen andere Strukturen, denn so wie das bei uns in der C- und D-Jugend lief, wollen wir das nicht. Natürlich ist aber gerade am Anfang auch das Finanzielle ein Anreiz, das muss man klar sagen. Es ist ein nettes Taschengeld – zwar nicht mehr, das wissen sie auch -, aber sie nehmen es natürlich gerne mit, mit ihrem Hobby Geld verdienen zu können.

Zumal jede im Nebenjob Zeitungen austragen könnte, statt sich mitunter auf dem Spielfeld beleidigen und von der Tribüne beschimpfen lassen zu müssen…
Das ist an der Basis ein entscheidender Punkt. Es passiert leider immer noch zu oft in den Hallen, dass Schiedsrichter:innen dort fertiggemacht werden. Ein Schlüssel, dass wir diese oft jungen Menschen mit ihrem Engagement behalten, ist die Betreuung, damit sie nicht die Lust verlieren.
Der Fußball produziert oft Negativschlagzeilen, was gerade das Verhalten gegenüber Amateurschiedsrichtern angeht. Wie erlebst du das im Handball?
Wenn ich den Handball mit dem Fußball vergleiche in Sachen Provokation, Gewalt und allem anderen, was in Stadien passiert, ist es eine andere Dimension und darüber können auf aus Handball-Sicht einfach nur froh sein. Es gibt natürlich auch Schatten, aber wir erinnern uns an mehr positive Momente und die Sonnenseite.
Ihr pfeift wie erwähnt nicht nur selbst in der Bundesliga, sondern engagiert euch seit 2021 im Handball-Verband Brandenburg in der Aus- und Fortbildung der Schiedsrichter. Warum habt ihr euch entschieden, noch mehr Zeit in den Handball zu stecken – und dann auch noch an der Basis?
Lukas und ich wollen das zurückgeben, was wir selbst erfahren haben – und vielleicht noch einen Tick mehr. Wir haben die Hoffnung, dass dies dann wiederum weitergeben wird und die Jungs und Mädels, die wir heute betreuen, in zehn, fünfzehn Jahren selbst in die Rolle des Coaches schlüpfen und sich wiederum um die nächste Generation kümmern. Wir hoffen, dass sie sich dann sagen: Das, was ich damals von Müller/Müller gelernt habe, will ich jetzt weitergeben. So können wir einen Teil dafür leisten, dass der Handball nicht ausstirbt und weiter Tradition bleibt.
Es ist das gleiche Prinzip, wie bei Spielern, die Trainer werden – und alles lebt vom Ehrenamt…
Ohne Ehrenamt haben wir keinen Handball in Deutschland. Ohne Ehrenamt könnten wir keine Kinder und Jugendliche mehr in den Handballvereinen halten und ohne Nachwuchs. würde der Handball aussterben. Was aber noch viel wichtiger ist: Wenn wir keine Menschen mehr haben, die sich um die Kinder und Jugendlichen kümmern in den Vereinen und Verbänden, bräche ein ganz wichtiger Faktor in der Entwicklung weg. Die Kinder und Jugendlichen spielen nicht einfach nur Handball, sie lernen durch den Handball das Gewinnen und Verlieren, sie lernen, ein Teamgefühl zu entwickeln und sich gegenseitig zu unterstützen. Dieses Lernen, sich in einem Gefüge, in einem Umfeld mit verschiedensten Menschen zurechtzufinden, ist eine extrem wichtige Komponente.
Und der Verein ist oft noch einmal ein ganz anderes Umfeld als die Schule, wo man hingehen muss, während man in den Verein gehen will – und nebenbei noch so viel mitnehmen kann …
Ich bin überzeugt: Jedes Kind und jeder Jugendlich kann durch den Verein so viel lernen. Selbstständigkeit, Pünktlichkeit, Disziplin. Ich bin selbst als Lehrer unterwegs und sehe jeden Tag, wie oft Schüler zu spät kommen oder nicht mehr miteinander umgehen könne- und das sind auffällig oft diejenigen, die nicht in einem Verein integriert sind.
Was zieht ihr für euch aus dieser ehrenamtlichen Tätigkeit?
Wir betreuen unglaublich viele minderjährige Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter. Wenn wir diese bei einem Spiel oder Lehrgang betreuen und dann irgendwann die Eltern kennenlernen, ist es schön, deren Zufriedenheit zu sehen. Sie sind stolz und glücklich, dass ihre Kinder sich der Aufgabe stellen, dass sie sich das zutrauen – und sie haben das Vertrauen zu uns, dass wir mit ihren Kindern behutsam und sorgsam umgehen. Das prägt und begeistert mich immer wieder.

Ihr arbeitet in Vollzeit, ihr pfeift Bundesliga und seid im Ehrenamt an der Basis. Wie kriegt man das unter einen Hut?
Das A und O ist die Zusammenarbeit zwischen Lukas und mir. Wir können uns aufeinander verlassen, das ist ein ganz wichtiger Baustein. Ansonsten ist der Handball einfach seit unserer Kindheit in unserem Leben. Ich wüsste gar nicht, wie es wäre, das nicht mehr zu haben (lacht). Daher hinterfrage ich das auch gar nicht. Natürlich ist das, was wir im Verband übernommen haben, noch einmal viel Arbeit und kostet viel Zeit, aber wir brauchen das, damit alles rund ist.
Wir haben für uns gesagt: Wir machen das solange, wie wir uns gewachsen fühlen, den jungen Menschen etwas mitzugeben. Sobald es jemanden gibt, der das anders oder besser machen will, der ein Konzept oder eine Idee hat, dann sind wir gerne bereit, das abzugeben und auf Wunsch den Übergang auch zu begleiten. Bisher war das aber noch nicht der Fall… (lacht)
Woher kommt dieses Selbstverständnis, im Sportverein zu sein – und euch zu engagieren?
Das ist familiär geprägt. Unsere Eltern und unsere Schwester haben alle Handball gespielt, auch unser Großvater war Handballtrainer in einem kleinen Verein in Sachsen. Wir sind als Kinder oft zu ihm gefahren und sind dann mit ihm in die Halle und durften Handballspielen – und damit waren die Sommerferien gerettet (lacht).
Ihr hattet also quasi keine andere Wahl …
Früher wollten Lukas und ich mal Fußball spielen. Unsere Eltern haben sich das immer wieder angehört – und uns zum Probetraining geschickt, als es geregnet hat. Danach wollten wir schnell wieder in die Halle. Sie leugnen bis heute, dass es Absicht war (lacht).
Abschließend: Warum lohnt es sich, sich in einem Verein oder Verband zu engagieren und sich im Ehrenamt einzubringen?
Abseits der eigenen Persönlichkeitsentwicklung? Weil ihr mit Menschen zusammenarbeitet, die dasselbe lieben wie ihr. Das ist unabhängig davon, ob man Trainer oder Schiedsrichter oder sonstwas macht: Alle, die sich im Handball engagieren, lieben den Sport genauso wie ihr und diese Gemeinschaft ist einfach toll – und macht einen riesigen Spaß. Das ist übrigens das Wichtigste, dass es Spaß macht… egal, auf welcher Ebene.
Wie meinst du das?
Wenn wir mit jungen Schiedsrichtern arbeiten, haben viele das gleiche Ziel: Sie wollen nach oben, vielleicht sogar wie wir in die Bundesliga. Das Ziel soll sich jeder gerne setzen, aber die Wahrheit ist eben auch: Es werden nicht alle schaffen. Das macht das Engagement jedoch nicht unbedingt schlechter! Ein Ehrenamt ist nicht nur erfolgreich, wenn man es bis in die Bundesliga schafft. Wenn du an der Basis den Grundstein dafür legst, dass Kinder und Jugendliche tolle Erlebnisse haben, erste Erfahrungen sammeln und dann vielleicht den Weg nach oben gehen, weil du ihnen geholfen hast, bist du genauso erfolgreich.
Wie schön ist es, zu sehen, wie sich „eure“ Jungs und Mädels entwickeln?
Das ist großartig. Wir kommen für den Landesverband in die Hallen, in denen wir selbst angefangen haben und betreut wurden – und sind jetzt diejenigen, die die nächste Generation betreuen. Die Entwicklung der Jugendlichen zu sehen, zu sehen, wie sie irgendwann den Sprung in den Aktivenbereich und vielleicht sogar in die Oberliga, den Perspektivkader oder die 3. Liga schaffen und sich dort beweisen, ist beeindruckend. Wenn man bei den Spielen dabei ist, kann ich mich zurücklehnen und genießen.
Fotos: DHB / privat


