Marijo und ich sind seit 1996 als Schiedsrichter-Team unterwegs, seit 2001 pfeifen wir im Deutschen Handballbund. Inzwischen haben wir knapp 700 Partien für den DHB geleitet und in dieser Zeit so manches Spiel erlebt, was uns absolut positiv im Gedächtnis geblieben ist. Ob ein Debüt in einer neuen Liga, der Supercup der Frauen oder das letztjährige Pokal-Viertelfinale der Männer zwischen den Rhein-Neckar Löwen und dem ThSV Eisenach, was einfach Spaß gemacht hat: Wir haben an viele Einsätze tolle Erinnerungen.
Zu der Karriere eines Schiedsrichters gehören jedoch auch unschöne Erinnerungen, die man leider nicht vergessen kann. Wir haben so ein in negativer Hinsicht besonderes Spiel 2010 erlebt; das ist natürlich schon ein bisschen länger her, aber es hat sich in unser Gedächtnis eingebrannt.
Am Anfang der damaligen Saison sind die HSG Blomberg-Lippe und Frisch Auf Göppingen in der Frauen-Bundesliga aufeinander getroffen. Wir hatten schon über 200 Spiele für den Deutschen Handballbund geleitet, waren also keine Frischlinge mehr. Was hingegen noch relativ neu war: Das Headset, was ein Jahr vorher eingeführt wurde.
Das Spiel war bis zu der letzten, entscheidenden Szene unglaublich knapp. Blomberg hat mit einem Tor geführt, aber kurz vor Schluss bzw. mit dem Spielende bekam Göppingen noch einen Freiwurf zugesprochen. Ich war Feld-Schiedsrichter und pfeife an, doch nahezu im gleichen Moment pfeift auch Marijo als Tor-Schiedsrichter – und dummerweise pfeifen wir zwei verschiedene Dinge.
Ich wollte das Spiel anpfeifen, während Marijo eine Strafe gegen die Bank aussprechen wollte, weil sie lautstark protestiert haben. Ob es aufgrund der Progression oder der Distanz beim Freiwurf war, weiß ich nicht mehr. Die Werferin von Göppingen hatte meinen Pfiff jedoch als Anpfiff wahrgenommen und ihr Wurf über den Block ging tatsächlich ins Tor. Die Halle ist explodiert, das wäre der Ausgleich gewesen.

Das war es jedoch nicht, denn wir haben das Tor zurückgenommen, die Progression gegen die Bank gegeben und den Freiwurf wiederholen lassen. Der zweite Versuch war nicht drin und so ging das Spiel am Ende mit einem Tor für Blomberg aus.
Ich will nicht ins Detail gehen, aber die Minuten, die Stunden, die Tage nach dem Spiel waren nicht schön für uns. In der Halle herrschte eine unglaubliche Aufregung, beide Trainer standen in der Kabine, aus dem Auto heraus haben wir ein Telefonat nach dem anderen geführt. Es war auch die ein oder andere schlaflose Nacht dabei, denn Göppingen hat Einspruch eingelegt und so kam es sogar zu einer Gerichtsverhandlung.
Das ist das erste und einzige Mal in unserer Karriere, das ein Spiel derartige Folgen hatte. Dass Einspruch angekündigt bzw. eingelegt wird, erlebt man immer mal wieder, aber dass es tatsächlich in eine Verhandlung geht, ist selten. Ich weiß noch, dass wir dafür nach Kassel fahren musste, dort wurde in einem Hotel in der Nähe des Bahnhofs getagt.
Wir haben unser Statement schriftlicht verfasst und waren fest überzeugt, dass es sich um eine Tatsachenentscheidung handelt, denn es war natürlich eine unglückliche, eine blöde Situation, die aber leider so geschehen ist. Das Gericht hat anders geurteilt und die Situation als Regelverstoß gewertet, weshalb ein Wiederholungsspiel angesetzt wurde. Das war hart für uns.
Spielentscheidende Fehler tun einem als Schiedsrichtern wahrscheinlich am meisten weh und so etwas bleibt lange hängen. Das Spiel ist 15 Jahre her und einige Details sind verschwommen (ich weiß zum Beispiel nicht mehr, welche Spielerin den Freiwurf geworfen hat), aber beide Trainer habe ich noch klar vor Augen. Als Schiedsrichter musst du solche Fehler aufarbeiten und abhaken, um weiterzumachen, aber du vergisst sie eben nie ganz.
Wir versuchen daher immer, ein Learning mitzunehmen. Seit der damaligen Situation achten wir zum Beispiel extrem darauf, dass vor dem Wiederanpfiff eine regelgerechte Ausgangssituation herrscht. Das mag banal klingen, aber wir achten darauf, dass der Abstand richtig ist, dass die Bänke sich beruhigt haben und die Ordnung hergestellt ist. Es hilft nicht, schnell anzupfeifen, um eine stressige Situation möglichst schnell zu beenden, sondern wir versuchen vielmehr, mit Ruhe den Stress zu vermeiden.
Und außerdem ist seitdem ganz klar, dass der Torschiedsrichter sich maximal über das Headset meldet, aber auf gar keinen Fall ohne vorherige Absprache eingreift. Das hat sich in den knapp 500 Spielen, die wir seitdem für den Deutschen Handballbund gemacht haben, bewährt – und so blieb dieser Einsatz mit Einspruch, Gerichtsverhandlung und Wiederholungsspiel in negativer Hinsicht besonderes, aber eben zum Glück auch einzigartiges Spiel.

Fotocredit: Marco Wolf